Rechtsanwalt Czabański

Marcin Czabański, Stettin

1.7.2015 bis 14.4.2016

In Polen gelten gleichzeitig drei verschiedene Versionen des Strafrechts.

 

Das „alte“ Straf­recht galt seit Polen seine Souveränität wiedererlangte.
Es gilt auch weiterhin für Prozesse, die vor dem 1. Juli 2015 begonnen wurden. Das „neue“ Strafrecht gilt für Prozesse, die zwischen dem 1. Juli 2015 und dem 14. April 2016 begannen. Das „neueste“ Straf­recht gilt für neue Prozesse ab 15. April 2016.
Maßgebend ist der Zeitpunkt des Eingangs der Anklage beim Gericht.

Die „neue“ Version ähnelt dem amerika­nischen Straf­recht. Das Gericht entscheidet über die Zulas­sung von Beweis­mitteln, führt aber nicht die Beweis­erhebung durch. Die Beweis­erhebung wird in der Haupt­verhandlung durchgeführt.

Der Rich­ter stellt keine Fragen. Er ist passiver Beob­achter, wie ein Schieds­richter beim Tennis.

Er fällt das Urteil über die Schuld­frage und das Strafmaß.
Die Befra­gung der Zeu­gen ist allein Auf­gabe der Parteien. Ange­klagte und Neben­kläger werden durch das Gericht nicht unter­stützt. Sie müssen selbst alle Beweise sammeln und in der Haupt­verhandlung vortragen.

Die Staats­anwaltschaft kann Ermitt­lungs­ergebnisse verschweigen, die zu­gunsten des Beschul­digten sprechen. Sie konnte im Rahmen der Ermitt­lungen Zeugen befragen und sich die ihr genehmen Zeugen aus­suchen. In dieser Version entscheidet die Staats­anwaltschaft, was sie dem Ge­richt mitteilen will.

Ein polnischer Staats­anwalt steht unter Erfolgs­druck wie ein amerika­nischer Ankläger. Dadurch steigen die Anfor­derungen an das Kön­nen und die Erfahrung des Vertei­digers. Es besteht die Ge­fahr, dass wichtige Beweis­mittel nicht erwähnt werden.

Erst am Ende der Ermitt­lungen bekamen der Ange­klagte und sein Vertei­diger Gelegen­heit, sich mit den Verfahrens­akten vertraut zu machen und der Staats­anwalt­schaft vorzu­schlagen, welche Materialien das Ger­icht erhalten soll. Hat die Staats­anwalt­schaft diese Vor­schläge abgelehnt, müs­sen in der Verhand­lung Beweis­anträge ge­stellt werden, was bedeutet, dass der Pro­zess länger dauert. Der Vertei­diger muss Zeugen be­nennen, von denen er nicht weiß, was sie aussagen werden, denn er darf außer­halb der Verhand­lung nicht mit ihnen sprechen.

Es gilt weiter der alte Grund­satz, dass Beweis­anträge in einer höheren Instanz abgelehnt werden können, wenn die Mög­lichkeit bestand, sie schon in einer vor­herigen Instanz zu stellen. Viel hängt von der Erfahrung des Vertei­digers ab, die nur in langjähriger Tätigkeit erworben werden kann.

Der Angeklagte muss mit dem Rechts­anwalt, der vor Gericht auftritt, in seiner Mutter­sprache sprechen können. Beherrscht sein Ver­teidiger die Spra­che nicht wirklich, oder muss der Ange­klagte mit einem anderen Mitglied der Anwalts­praxis oder mit einem Kor­respondenz­anwalt reden, geht Infor­mation ver­loren. Sein Wohl und Wehe hängt dann von der Kompetenz des Dol­metschers oder des Über­setzers ab, der Alb­traum jedes Angeklagten.